
Zusammenfassung: Der Entstehung und Unterhaltung des postoperativen Akutschmerzes liegen im Vergleich zum persistierenden Entzündungsschmerz oder dem chronischen neuropathischen Schmerz unterschiedliche pathophysiologische Mechanismen zugrunde. Aus neuen Untersuchungen in Tiermodellen für den postoperativen Schmerz wird erstmals offensichtlich, dass spezielle Sensibilisierungsprozesse im peripheren und zentralen Nervensystem nach Inzision auftreten und eine besondere Bedeutung für die Therapie postoperativer Schmerzen haben.
Neurophysiologische Untersuchungen in diesen Tiermodellen zeigen, dass periphere Sensibilisierungsprozesse zu spontanem Schmerzverhalten und der Ausprägung von primärer Hyperalgesie beitragen. Spontanaktivität tritt bei C- und A?-Schmerzfasern auf und ist möglicherweise Ursache für den postoperativen Ruheschmerz von Patienten nach einer Operation. Neben der Entwicklung von Spontanaktivität konnte auch eine Veränderung der mechanischen Erregbarkeit von A?- und C-Schmerzfasern in Form einer Erweiterung des rezeptiven Feldes und einer Erniedrigung der Erregungsschwelle nachgewiesen werden. Die Schwellenerniedrigung der A?-Fasern beruhte hauptsächlich auf einer verminderten Zahl mechano-insensitiver A?-Fasern und lässt vermuten, dass mechano-insensitive („stumme“) A?-Fasern nach Inzision in mechanosensitive Schmerzfasern umgewandelt werden. Im Rahmen der Untersuchung von Neuronen im Rückenmark konnte festgestellt werden, dass eine chirurgische Inzision zu einer charakteristischen Sensibilisierung von Wide-Dynamic-Range (WDR)-Neuronen sowie teilweise auch von High-Threshold-(HT)-Neuronen führt. Die Sensibilisierungsprozesse im Rückenmark nach Inzision unterscheiden sich deutlich von Sensibilisierungsprozessen anderer Genese. Hauptsächlich sensibilisierte WDR-Neurone, nicht aber HT-Neurone vermitteln z.B. die reduzierte Reaktionsschwelle auf mechanische Reize. Im Gegensatz zu anderen Schmerzformen entwickelt sich darüber hinaus eine spinale Sensibilisierung nicht unabhängig von der Inzision, sondern ist abhängig von einem kontinuierlichen nozizeptiven Input aus dem Inzisionsgebiet. Die charakteristischen neurochemischen als auch elektrophysiologischen Mechanismen postoperativer Schmerzen machen deutlich, dass Ergebnisse von Modellen entzündlicher und neuropathischer Schmerzen nicht einfach auf die Bedingungen postoperativer Schmerzen übertragen werden können – Schmerz ist eben nicht gleich Schmerz.